Sabine Nielsen-Adrian Plitzco

Sabine Nielsen-Adrian Plitzco

Sabine Nielsen

Meine Heimat:  Föhr ... oder Australien

Autorin 2Immer wieder kehre ich zurück auf die Insel, auf der ich geboren wurde und bis zu meinem 20. Lebensjahr lebte. Obwohl ich wie so viele Föhrer Auswanderin wurde, ein faszinierendes Land zu meiner zweiten Heimat gemacht habe, gelingt es mir nicht, mich abzunabeln von der kleinen, grünen Insel, die ich für einen großen, trockenen Kontinent getauscht habe.

In Australien lebe ich in Melbourne – ein Glück, finde ich, denn Melbourne in dem Staat Victoria hat einige Ähnlichkeiten mit Deutschland. Victoria heißt auch „der Gartenstaat“: Die Leute hier sind stolz auf ihre Gärten, und das hat mich angesteckt – auch ich bin eine eifrige Gärtnerin geworden. Aber nicht nur die Gärten erfreuen das Gemüt – in Melbourne haben (heimwehkranke?) Einwanderer schon vor über 150 Jahren ganze Alleen von europäischen Bäumen angelegt. In Melbourne gibt es Straßen und Parks, wo man im Herbst durch eine dicke Lage Herbstblätter waten kann und sich zurückversetzt fühlt in die eigene Kindheit. Auch das Klima spielt freundlich mit – obwohl es im Sommer sehr heiß werden kann (bis zu 45 Grad), dauern die heißen Tage selten länger als drei Tage an – und es gibt in Victoria ganz deutlich vier Jahreszeiten. Der Winter bringt frostig kalte Nächte und Schnee auf den Bergen. Der Frühling verheißt uns laue Abende, vom Gesang der Vögel beschwingt. Der Herbst mit seinen milden, stillen Tagen, an denen es scheint, als hielte die Welt den Atem an, und als sei die Natur in goldenes Licht getaucht, versetzt mich immer zurück auf die Insel – wo die Sonne auf dem glattgespannten Meer spielt und die Äcker schwarz gegen die Stoppelfelder leuchten.

 



Zu HauseMelbourne ist eine gemütliche Stadt und eine Stadt, die von ihren Einwanderern geprägt ist. Hier muss man sich Zeit lassen, die ganz verschiedenen Viertel zu entdecken. Melbourne breitet sich aus wie eine behäbige Dame – im Süden streckt sie sich an der Port Phillip Bay entlang aus – bietet Strände und Esplanaden, Cafés und einen attraktiven Hafen. Im Norden schaut sie ins Land hinein – eine Landschaft geprägt von Eukalyptusbäumen und von leerer Weite. Kliffs und Naturparks, Strände mit wilder Brandung, erstaunliche Farnwälder, Orte, die an den wilden Westen erinnern, Einsamkeit, ausgetrocknete Erde oder ertragreiches Farmland – rundherum um die Stadt findet man die Kontraste, die einen Deutschen immer auf’s Neue erstaunen. Ganz egal, wie lange man in der Ferne lebt, gewisse Aspekte muten immer wieder befremdlich an – und so fühle ich mich zurückgezogen zu der kleinen Nordseeinsel, wo der Rhythmus des Lebens bestimmt ist von Ebbe und Flut und Generationen von Familien, die sich diesem Rhythmus unterworfen und ihm, wenn nötig, getrotzt haben. Inzwischen habe ich zwei „Heimaten“ – die Große, Multikulturelle hier... die Kleine, Gemütliche, Bezaubernde dort.

Vita im Zeitraffer

Geboren wurde ich am 10. April 1952 in Wyk auf Föhr. Das bedeutete, dass mein Geburtstag oft ums Osterfest fiel. Der Geburtstagstisch war dann immer osterlich dekoriert!

Meine älteste Schwester kam vier Jahre vor mir an! Sie konnte alles, lange bevor ich es lernte: schwimmen, häkeln, stricken, lesen, schreiben, radfahren... Es hat lange gedauert, bis ich herauskriegte, dass sie all das schon konnte, eben weil sie älter war als ich! Vielleicht habe ich mir deshalb immer ziemlich hohe Ziele gesteckt ...

Vier Jahre nach meiner Geburt kam eine dritte Schwester dazu und vier Jahre danach die Jüngste. Meine Mutter teilte uns aus praktischen Gründen in die „beiden Großen“ und die „beiden Kleinen“ auf. Für ein Kind im Mittelfeld kann das Nachteile haben: Ich war die Kleine der Großen, aber nicht die Kleinste in der Familie, und ich war auch nicht die Große für die Kleinen. Ja, da denken Sie mal drüber nach!

Als wir klein waren, wohnten wir in einer Wohnung über dem Geschäft meiner Eltern. Zum Spielen gingen wir meistens zu Oma und Opa in die Badestraße. Da waren wir immer willkommen, und das schöne alte Haus und der große Garten boten uns reichlich Platz für unsere Spiele. Wenn wir zum Mittagessen bleiben durften, kochte Oma was Besonderes und nach dem Essen kuschelten wir uns zu Opa auf die Chaise und er erzählte eine Geschichte. Wir wuchsen überhaupt mit Geschichten auf: Mein Vater erzählte und er, meine Mutter und unsere Tante lasen uns vor – jeden Abend und am Wochenende auch mal tagsüber. Vielleicht hat sich damals die Lust zum Geschichtenerzählen in mir geregt.

Als ich sieben Jahre alt wurde, kam ich in die Grundschule in Wyk. Gleich am ersten Tag marschierte ich allein mit meiner besten Freundin, Ruth, dorthin. Unsere Klassenlehrerin hieß Fräulein Gill. Sie war sehr streng – vor allem, wenn es ums Kopfrechnen ging. Die Fenster des Klassenzimmers hatte sie mit Topfpflanzen gefüllt und in den Ferien nahmen wir Kinder eine mit nach Hause und hüteten sie ein. Am schönsten war das Basteln – besonders im Advent, wenn wir das ganze Klassenzimmer weihnachtlich dekorierten und Fräulein Gill Weihnachtsgeschichten bei Kerzenlicht vorlas. Von ihr kenne ich das Gedicht vom Christkind, das doch im Kaschubenlande hätte geboren werden sollen (wieviel besser hätte es es dann gehabt!), das ich manchmal mit meinen erwachsenen Schülern einübe.

Nachmittags spielten wir bei Ruth im Garten. Ihr Vater war der Amtsrichter und ein riesiger Garten gehörte zur Dienstwohnung des Amtsrichter. Den Sommer verbrachte ich mit meinen Schwestern im Strandkorb. Jedes Jahr mietete unsere Mutter uns einen Strandkorb am Südstrand. Unter der Woche war unsere älteste Schwester für uns verantwortlich, weil unsere Eltern arbeiteten, am Wochenende wurde das Auto beladen, und die ganze Familie zog los an den Strand. Im Winter rodelten wir mit unseren Schlitten am Deich und einmal in der Woche gingen wir in den Turnverein.

Nach vier Jahren Grundschule kam ich auf das Staatliche Gymnasium, Wyk auf Föhr. Fräulein Gill entschied, wer sich für die Prüfung anmelden durfte – ein krasses Auswahlsystem, das aber von allen akzeptiert wurde. Damals verlor ich viele gute Freunde – und auch das Gefühl der Geborgenheit, des ‚Wohl-aufbewahrt-Seins’, das Fräulein Gill trotz ihrer Strenge und ihrer einseitigen Bevorzung ihrer Lieblinge, uns gegeben hatte.

Ich blieb auf dem Gymnasium bis zur Obersekunda. Deutsch und Englisch waren meine Lieblingsfächer. Besonders tolle Deutschlehrer waren Herr Heller, Herr Mielich und Herr Tholund, ihnen verdanke ich sehr viel. Und Miss Brandt lehrte uns ein Englisch, von dem ich heute noch profitiere. Ich verstand allerdings nie, wozu ich Chemie oder Physik brauchen könnte und passte deshalb selten auf. In der Quarta hatten wir Herrn Tholund auch als Geschichtslehrer, im folgenden Jahr lernten wir wieder Geschichtszahlen, aber Herr Tholund rührte mein Interesse an Geschichte, sein Unterricht war interessant und amüsant – er war ein toller Pädagoge! Erdkunde brachte uns die Namen der Flüsse und ähnliches. Schade, ich hätte gern mehr von den Menschen gehört, die den anderen Gebieten lebten. In Mathe war ich gut, wenn wir Lehrer hatten, die eine humanistische Ausbildung hatten. Die, die mathematisch-wissenschaftlich ausgebildet waren, konnten bei mir nichts anrichten. Ich fühlte mich nicht wohl in der Schule und unsere Klassengemeinschaft bot keinen Zusammenhalt. Ich entschied, abzugehen.

Nach der Obersekunda trat ich auf Wunsch meiner Eltern eine kurzfristige Lehre zum Großhandelskaufmann an. Die brach ich ab, als ich meinen zukünftigen Mann kennenlernte. Er war Australier und 1972 folgte ich ihm nach Melbourne. Ich war zwanzig Jahre alt!

Ein Jahr lang lebten wir in einer kleinen Zweizimmerwohnung. Die Wände waren unverputzte Mauersteine, das war damals modern, und es war billig. Unsere Möbel waren „vererbt“, aber keine Erbstücke! Ich war glücklich, denn endlich konnte ich „Haus“ spielen!

Nach einem Jahr kauften wir ein Haus auf einem großen Grundstück. Damals war das ganz normal, das junge Paare ihr eigenes Haus kauften. Ich probierte verschiedene Jobs aus – keiner erfüllte mich richtig. Schließlich machte ich das Abitur nach und begann 1979 ein Studium der Anglistik und Soziologie.

Zu unserer großen Überraschung meldete sich im selben Jahr unser Sohn an. Wir hatten die Hoffnung auf ein eigenes Kind fast aufgegeben. Die Geburt Ashleys am 18. Dezember 1979 leitete die schönste Phase meines Lebens ein. Es war wunderbar, Mutter zu sein, und Ashley und ich erlebten viele Abenteuer.

Wegen Ashley wechselte ich zu einem Teilzeitstudium über, und erst 1989 machte ich meinen Abschluss als Gymnasiallehrerin. Zehn Jahre lang arbeitete ich im Schuldienst – meistens als Deutschlehrerin („Sie sind Deutsche, also können Sie Deutsch unterrichten“, wurde mir gesagt), manchmal „durfte“ ich in meinen Fächern, Englisch und Sozialkunde, unterrichten.

1996 scheiterte unsere Ehe. Ich brauchte vier Jahre, um mich an die Änderungen zu gewöhnen, die die Trennung mit sich brachte. Langsam baute ich mir ein ganz neues Leben auf. Angeregt durch eine Freundin begann ich zu schreiben. Ich hörte nie wieder auf ...

1999 reiste ich zusammen mit Ashley zurück nach Deutschland. Sieben herrliche Monate lebten wir auf der Insel Föhr! Ich arbeitete an einem englischen Roman, schrieb eine Kurzgeschichte, und mehrere Gedichte entstanden in der Zeit. (Die Gedichtesammlung „Unterwegs zu dir“ erschien 2003 in der Anthologie ‚Alle Herrlichkeit der Welt’, edition fischer.)

Gustav and OttoIm Februar 2000 kehrte ich nach Australien zurück. Fast sofort traf ich meinen besten Freund und jetzigen Lebensgefährten André, – und so blieb ich in Australien, anstatt vielleicht ganz nach Deutschland zurückzukehren. 2003 wagten André und ich einen neuen Anfang - wir kauften gemeinsam ein Häuschen in Melbourne. Wir machten es uns mit zwei Katzen gemütlich. 2005 zog Gustav, der schwarze Königspudel, in unser Haus und unsere Herzen. Zwei Jahre später ergänzte Otto, Gustavs Halbbruder, die Familie. Die Hunde und Katzen leben in friedlicher Eintracht. Als ich im Jahre 2000 nach Australien zurückkerhte, wechselte ich in den Erwachsenenunterricht über, um mehr Zeit fürs Schreiben zu haben. Es erwies sich als äußerst schwierig, in Australien einen Verleger zu finden. Eines Tages sagte André: „Schreib doch auf Deutsch! Da hast du ein größeres Publikum!“ So entstand Ebbe, Flut und Tod! Als das Buch fertig war, sah ich mich nach einem Verlag um. Ein Buch des Schardt Verlages fiel mir zufällig in die Hände, es spielte auf Sylt, Föhrs Nachbarinsel. Also sandte ich mein Manuskript an den Schardt Verlag – und bereitete mich auf eine lange, geruhsame Wartezeit vor. Verlage sind notorisch zurückhaltend, wenn es um das Beantworten von Autorenanfragen geht. Mein Erstaunen war um so größer, als ich drei Wochen später eine Zusage erhielt.

AutorinSeitdem ich schreibe, und vor allem, seit meine Bücher verlegt und gelesen werden, habe ich zum ersten Mal in meinem Leben das Wissen, wirklich „angekommen“  zu sein. Die Schriftstellerei hat mir sehr viel gebracht: es lindert mein Heimweh, es begeistert mich, es nimmt mich gefangen, es frustriert mich manchmal – es füllt mich immer aus. Und obwohl man als Schriftstellerin sehr viel Zeit ‚im stillen Kämmerchen’ verbingt und der Computer zum besten Vertrauten wird, haben  meine Bücher und vor allem die Lesungen mit vielen Leuten in Verbindung gebracht, die ich sonst nie getroffen hätte. Ich lerne ständig viele wunderbare Menschen kennen und habe einen Haufen sehr guter Freunde gewonnen.